Schuldbekenntnis der EKHN gegenüber queeren Menschen
Auf der 13. Kirchensynode im April 2023 hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau mit großer Mehrheit ein Schuldbekenntnis gegenüber queeren Menschen verabschiedet. Darin bittet die Kirche sie um Verzeihung für die Diskriminierung, die sie in der Vergangenheit in kirchlichen Kontexten erleben mussten.
Das Schuldbekenntnis richtet sich an alle Menschen, die zum Beispiel nicht heterosexuell. nichtbinär oder nicht-cisgender sind. Es ist ein wichtiger Schritt, um kirchliche Räume und Veranstaltungen zu sicheren Orten zu machen, an denen niemand Ausgrenzung oder Anfeindung erleben muss. Denn Gott liebt alle Menschen und Gott hat sie genau so geschaffen, wie Gott sie haben wollte.
„Lesben, Schwule, Trans- und Intersexuelle haben in Gemeinden und Einrichtungen der EKHN Diskriminierung erfahren. Dem haben wir als Kirche nicht gewehrt. Schlimmer noch: Wir haben die Würde von Gottes Geschöpfen verletzt in Erklärungen und Verlautbarungen, welche sich einseitig auf ein nur binäres, heteronormatives und letztlich patriarchales Familienmodell bezogen. Diese Erklärungen und Verlautbarungen erkennen wir heute als Irrtum. Sie sind auch dann gegen die Frohe Botschaft des lieben- den Gottes gerichtet, wenn sie zu einer Zeit erfolgt sind, in der staatlicherseits queeren Menschen keine volle Gleichberechtigung zugebilligt wurde. Sie sind auch dann ein Irrtum, wenn sie als verbindlich und gut gedachte Lebensgemeinschaften wie Ehe und Familie schützen wollten. Es gibt Menschen, denen dadurch ihre geistliche Heimat genommen wurde und schwere Verletzungen zugefügt wurden, deren ehrenamtliche Mitarbeit in Gemeinden aufgekündigt bzw. nie aufgenommen wurde oder die ihren angestrebten Beruf zum Beispiel als Pfarrer*in, Gemeindepädagog*in oder Kirchenmusiker*in nicht angetreten haben. Viele andere haben sich versteckt.
Viel zu lange hat auch die EKHN die Vielfalt der Geschlechter, unterschiedlicher sexueller Orientierungen, Lebensweisen und Familienmodelle nicht geachtet, sondern zu begrenzen versucht.
Als Kirchenleitung und Kirchensynode bitten wir vor Gott und den Menschen dafür um Vergebung. Alle, denen wir damit Unrecht getan haben, bitten wir um Vergebung.
Der Weg der Anerkennung von queeren Menschen in der Kirche war langwierig und steinig. Wir haben ihn nicht immer freiwillig eingeschlagen, uns nicht selten drängen lassen und uns manches Mal sogar der gesellschaftlichen Weiterentwicklung verweigert. Auch in Hessen und Nassau haben wir jahrzehntelang, seit der Gründung 1947, Menschen durch Taten und Worte ausgegrenzt, verletzt, geängstigt und manchmal mundtot gemacht.
Kirchenleitung und Kirchensynode danken ausdrücklich allen Menschen, die an den Schritten zur Anerkennung queerer Menschen mitgewirkt haben. Betroffene haben durch ihren Mut und ihre Beharrlichkeit dafür gesorgt, dass das diskriminierende Verhalten gegenüber queeren Menschen sichtbar gemacht wurde. Sie haben mit Geduld und Offenheit diesen Weg zu mehr Vielfalt ermöglicht.
Wir glauben heute: Homosexualität, Bisexualität, Trans- und Intersexualität, non-binäre und queere Lebensformen sind ein Teil der Schöpfung. Von der Schöpfung sagt Gottes Wort „Siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1), und der Mensch kann zu Gott beten: „Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele“ (Psalm 139). Dieser Lobpreis ist unabhängig von dem Geschlecht eines Menschen und von der sexuellen Identität oder Orientierung. Der Glaube an Jesus Christus befreit uns zu der Einsicht, dass Menschen mit all ihren Unterschieden in Christus erlöst und verbunden sind (Galater 3,28) und leitet an, alle Menschen in ihrer Würde zu achten und füreinander da zu sein. Gottes Geistkraft hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zur Umkehr und zum Bekenntnis der Schuld gegenüber queeren Menschen geführt.
Die EKHN verpflichtet sich, die bestehende Vielfalt von Geschlechtern, unterschiedlicher sexueller Ori entierung und Lebensweisen anzuerkennen und zu fördern. Damit ermöglicht sie verantwortliche und solidarische Lebensgemeinschaften für viele Menschen. Auch Lebensformen, die von der traditionellen Ehe abweichen, werden in ihren Gemeinden, Einrichtungen, Gottesdiensten und Verlautbarungen nicht mehr verschwiegen. Dadurch wird ein Coming-out erleichtert.
Dies findet auch Ausdruck im Leben der EKHN: Im Jahr 2002 wurde die Segnungen von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften in der EKHN ermöglicht; im Jahr 2013 wurde die Gleichstellung von Segnung und Trauung beschlossen; im Jahr 2018 wurde die Eintragung in die Kirchenbücher von der Synode verabschiedet. Im gleichen Jahr wurde die Broschüre „Zum Bilde Gottes geschaffen – Transsexualität in der Kirche“ herausgegeben.
Dieses Schuldbekenntnis verstehen wir als einen weiteren wichtigen Schritt in diese Richtung. Als Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung, verschiedener Geschlechter und vielfältiger Lebensweisen wollen wir Kirche gestalten.
Darüber hinaus verpflichtet sich die EKHN, auch in der Debatte mit ihren ökumenischen Partner*innen für die Anerkennung dieser Vielfalt einzutreten. „Ökumenisch sind Kirchen dadurch, dass sie sich an Jesus Christus ausrichten und sich darin begegnen. Die kulturellen Muster, die auch in Kirchen in Fragen der Geschlechtlichkeit wirksam sind, sind im Leib Christi keine endgültigen Festlegungen. `Wer Gottes Willen tut´, sagt Jesus, `ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter´ (Mk 3,35). Alle sozialen Festlegungen auf der Grundlage der Zweigeschlechtlichkeit, wie etwa die Verweigerung der Trauung gleichgeschlechtlicher Ehepaare, sind deshalb kritisch zu hinterfragen. […] Der EKHN liegt viel daran, das ökumenische Gespräch im Geist der Geschwisterlichkeit weiter zu führen, stets wissend, dass Menschen auch irren können und auf den Geist der Wahrheit Gottes angewiesen sind“, heißt es dazu in der heutigen Lebensordnung (Ziffer 258).“